HAUSMUSEUM Otzenrath/Hochneukirch



Aufzeichnungen beim Kochen in Otzenrather Dialekt auf Schranktüren, Foto: Sammlung Hausmuseum


 

Im Tagebauloch verschwundene Heimat
Eva Schmitt-Roth

Im Zuge des Braunkohletagebaus Garzweiler II wurden die Bewohner des Ortes Otzenrath umgesiedelt. Alt-Otzenrath, bis dahin Ortsteil der Gemeinde Jüchen, südlich von Alt-Holz und nördlich von Alt-Pesch gelegen, musste der Braunkohlegewinnung durch RWE Power innerhalb des rheinischen Braunkohlereviers weichen. Das neu gegründete Otzenrath liegt heute nordwestlich von Neu-Holz in unmittelbarer Nähe der Autobahnausfahrt „Mönchengladbach-Odenkirchen“ der A44. Die Umsiedlung, die mit dem ersten Spatenstich 1999 in Neu-Otzenrath begann, endete offiziell 2007. Zusammen mit dem Nachbardorf Spenrath waren von dieser Entscheidung ca. 1.600 Bewohner betroffen. Auch wenn auf der Landkarte die Position des Ortes nur gering verschoben scheint und die Menschen in schöne neue Häuser eingezogen sind, hat doch ein gravierender Einschnitt im Bewusstsein der Bewohner stattgefunden, der bis heute anhält. Die Umsiedlung hat damit auch das kulturelle Leben nachhaltig beeinflusst. In Otzenrath führte es zur Gründung des Geschichtskreises Otzenrath-Spenrath im Jahr 2003. Sein Interesse richtet sich nicht nur auf die besondere Ortsgeschichte, sondern auch auf die noch von den älteren Dorfbewohnern gesprochene, dem Ripuarischen zuzuordnende Mundart. Im Ort fanden sich eine Reihe interessierter Otzenrather und Spenrather, die ihren Ortsdialekt dokumentieren und damit für die Nachwelt bewahren wollten. Angelehnt an der standardsprachlichen Schreibung wurden die Mundartwörter auf Zetteln, Zeitungsabrissen und in Notizbüchern notiert und in Pappkartons gesammelt.


2012 wurde die Sammlung zum Projekt des Geschichtskreises, an dem Josef Stessen, Hubert Stessen, Josef Brockerhoff, Gert Behr, Inge Broska, Hans Bert Cremer und Konrad Eickels als Wörterbuchautoren mitwirkten. Die vielen Fotos von Gert Behr, die die Wortschatzsammlung visuell ergänzen, stammen zu einem großen Teil aus dem Hausmuseum Otzenrath-Hochneukirch, das die Künstlerin Inge Broska zu ihrer Lebensaufgabe gemacht hat. Sie zählt ebenfalls zu den aktiven Mitgliedern des Wörterbuch-Arbeitskreises. Das auch als Alltagsmuseum bezeichnete Haus dokumentiert, archiviert und bewahrt das Leben wie auch die Veränderung dieser Region über einen Zeitraum von einhundert Jahren. Hier hat auch die handschriftliche Mundart-Wörtersammlung ihren Platz. Das Bewahren einer Mundart stellt in vielen Vorworten von Mundartwörterbüchern ein wichtiges Motiv für die enorme Sammelarbeit dar, die einem solchen Projekt zugrunde liegt. Mit der Umsiedlung des ganzen Dorfes erhielt die Wortsammlung in Otzenrath ein ganz besonderes Gewicht. Denn es galt, das Loch zu füllen, das der Tagebau bei den Wörterbuchbearbeitern gerissen hat. Es gibt eine Reihe angefangener Wörterbuch-Projekte, die mit Enthusiasmus begonnen und leider aus verschiedenen Gründen kein Ende gefunden haben. Umso erfreulicher ist es dann, wenn ein solches Unterfangen zum Abschluss kommt, von welchem die meisten Autoren am Anfang ja nicht ahnen, wie viel Zeit man für ein solches Projekt investieren wird. In der Arbeitsgruppe des Geschichtsvereins wurde das Ende der Produktionsphase beschlossen, auch wenn die Autoren wussten: „Die Dokumentation wird nie vollständig“, denn es fielen ihnen immer wieder weitere Mundartwörter ein.


Auszug aus dem Buch Utzerohder Platt, 2017, Behr/Eickel/Broska/Geschichtskreis Utzerohder Platt