Die Krönung - das totschicke Dorf

Neulich sahen wir einen der vielen Alt-Otzenrath-Filme, subventioniert und ästhetisch-künstlerisch wie dramaturgisch wertvoll, jedoch politisch zahnlos wie alle bisher gesehenen Otzenrath-Filme im Fernsehen. Viel Betroffenheit, keine Kritik — schade bei so viel Können. Den mich sehr beeindruckenden Satz eines RWE-Power-Managers in diesem Film möchte ich hier zitieren. Er sagte über das neue Otzenrath: „Sie haben ja jetzt hier ein totschickes Dorf“.
Der RWE-Mann „hat recht“. Das Dorf ist etwas tot. Sauber — eben besenrein, unendlich gleich, die Häuser meist zum Verwechseln ähnlich … verschwindende Infrastruktur außer Bäckerei und Blumenladen, immerhin ein Bistro und ein schönes neues Esslokal, aber sonst ....
In Alt-Otzenrath gab es mehrere Fabriken, Kneipen und Geschäfte ... alles was man brauchte. Im neuen Ort müssen zum Beispiel alte Leute zum Einkaufen ihrer Lebensmittel ca. 2 km laufen. Es sei denn, der Servicedienst kommt, aber da fehlt dann die Kommunikation. Sie vereinsamen.
„Ob ein Ort Heimat ist, erweist sich erst daran, ob sich auch Zukunftshoffnungen des Einzelnen daran knüpfen.“ 1
Viele alte Menschen (sie wollten eigentlich nur ,,mit den Füßen zuerst“ ihr altes Zuhause verlassen …) starben kurz nach der Umsiedlung aus dem alten Ort. „Heimatgefühle“ scheinen mit der Zeit zu wachsen. Erst bei langer Eingelebtheit wird aus einer Gemeinde als Sozial-, Wirtschafts- und Kulturgebilde eine „Heimat“. In einer neu entstandenen Gemeinde, mit ihrer völlig anderen Architektur, Kultur, neuem Umfeld, völlig neuen nachbarschaftlichen Gewohnheiten und menschlichen Bindungen müssen „Heimatgefühle“ erst in Jahren und in ganz neuer Art wieder wachsen.

1 Neff, D. (1958) Der Heimatverlust bei den Flüchtlingen Ein Beitrag zum Phänomen der Heimat




Letzte Bewohnerinnen: Nachbarin Frau Müller und Inge Broska kurz vor der Umsiedlung, vor ihrem ehemaligen Elternhaus, am Treppenabsatz sind bereits Risse zu erkennen aufgrund der Absenkung des Grundwasserspiegels. Frau Müller starb vierzehn Tage nach dem „Umzug“ wie so viele alte Menschen in den Umsiedlungsdörfern, Foto: "Katastrophen"tourist

 
Abriss in Alt-Otzenrath, Foto: Sebastian Wilke
 


Große Teile eines Bauernhofs in Alt-Otzenrath wurden gestern Morgen durch eine Explosion in Schutt und Asche gelegt. Die Detonation wurde vermutlich durch eine leckgeschlagene Gasleitung ausgelöst, durch Bodenabsackung infolge der Senkung des Grundwasserspiegels während des Tagebaus, der die Umsiedlung (Zerstörung) erforderlich machte. Foto: NGZ / M. Reuter

Explosion zerstört Bauernhof


Ein Bauernhof an der Marktstraße in Alt-Otzenrath wurde gestern vermutlich durch eine Gas- explosion zerstört. Wie durch ein Wunder blieb der Besitzer, Jürgen Schopen (52), unverletzt. Er trug nur einige Schrammen davon.

Wiljo Piel

Alt-Otzenrath Gestern gegen 9.10 Uhr: Sven Baron und Rüdiger Reschke zertrümmern Bauschutt mit schwerem Gerät im alten Dorf. Es geht laut zu - doch plötzlich lässt ein ohrenbetäubender Knall die beiden hartgesottenen Arbeiter zusammenzucken. Einige hundert Meter von ihnen entfernt ist Rauch zu sehen, große Teile eines Bauernhofs an der Markstraße brechen in sich zusammen. „Mensch, da ist ein Unglück passiert“, schreit Baron seinen Kollegen zu. Wenige Minuten zuvor hatte der Landwirt Jürgen Schopen das Haus betreten. Der 52-Jährige verließ bereits vor einigen Wochen den von der Umsiedlung betroffenen Ort, wohnt vorübergehend in Grevenbroich, während sein neues Haus in Neu- Otzenrath gebaut wird. Regelmäßig kehrt er jedoch zur Marktstraße zurück, um seine Gänse zu füttern. So auch gestern. Der erste Weg führte ihn jedoch nicht zu den Ställen, sondern in den Keller des alten Hauses, wo Schopen einen Wasserrohrbruch entdeckte. Der Landwirt sperrte den Hahn ab, verließ daraufhin das Haus. Keine Sekunde zu früh. Kaum hatte sich der 52-Jährige einige Meter von dem Gebäude entfernt, kam es zu einer heftigen Explosion - vermutlich verursacht durch ein Leck in einer Gasleitung. Binnen weniger Sekunden stürzte die gesamte Vorderfront des Bauernhofes ein, Wände knickten wie Streichhölzer zusammen, eine Türe wurde durch den starken Druck gut 50 Meter auf ein benachbartes Grundstück geschleudert. Wie durch ein Wunder blieb Jürgen Schopen unverletzt, er trug nur einige Schrammen davon. Um 9.20 Uhr erreicht ein Anruf die Kreisleitstelle in Neuss: „In Otzenrath ist ein Haus explodiert. Wir brauchen aber nur die Polizei“, heißt es knapp. „Das war der merkwürdigste Notruf meiner Laufbahn“, meint Kreisbrandmeister Reinhard Seebröker später. Aber nachvollziehbar: Schließlich stehen in Alt-Otzenrath nur noch etwa ein Sechstel der ehemaligen Häuser, der Rest ist längst abgebrochen worden. Nur noch vier Familien leben in dem Geisterdorf. Dennoch lässt Seebröker „die ganze Batterie“ durch alarmieren. Die Jüchener Feuerwehr rückt ebenso aus wie die Werkswehr von RWE Power, fünf Rettungswagen, Notarzt und ein Rüstzug der Mönchengladbacher Feuerwehr machen sich auf den Weg nach Alt-Otzenrath. „Nach der ersten Meldung war nicht auszuschließen, dass Menschen aus den Trümmern befreit werden mussten. Nach Bad Reichenhall und Kattowitz ist die Sensibilisierung sehr hoch“, so der Kreisbrandmeister. Vor Ort kann Jürgen Schopen jedoch Entwarnung geben, er versichert, dass er sich alleine an dem Gebäude aufgehalten hatte. Seebröker lässt den Gefahrenbereich weiträumig absperren. Trupps der Feuerwehr sperren den Strom ab, messen mit sensiblen Geräten, ob noch Gas aus dem zerstörten Gebäude ausströmt. In der Kreisleitstelle am Hammfeld in Neuss werden pro Jahr rund 60000 Dispositionen verarbeitet - das sind pro Tag durchschnittlich 165. Neunzig Prozent davon sind Rettungseinsätze beziehungsweise Krankentransporte, zehn Prozent entfallen auf Einsätze der Feuerwehr. Als sämtliche Gefahren ausgeschlossen werden können, nimmt die Polizei ihre Ermittlungen auf. „Nach ersten Feststellungen besteht der Verdacht, dass es ein Leck in einer Gasleitung gegeben haben könnte, die von einem auf dem Grundstück stehenden Flüssiggasbehälter in das Haus führt“, erklärt Polizeisprecher Hans-Willi Arnold am Nachmittag. Die genaue Ursache ist jedoch noch unbekannt, gleiches gilt für die Schadenshöhe. Nachdem alle Einsatzkräfte wieder abgerückt sind, kommen Sven Baron und Rüdiger Reschke wieder zum Zuge. Für sie steht an diesem Tag ein wenig Abwechslung auf dem Programm: Statt Schutt zu zerkleinern, räumen sie mit schweren Frontladern die Marktstraße von den Trümmern frei.

 

Zur Zerstörung von Dörfern für die Braunkohlengewinnung


Liste zerstörter Dörfer: Otzenrath, Spenrath, Holz, Pesch, Immerath, Lützerath, Borschemich, Keyenberg ...

Seit den 1950er Jahren und bis zum Jahre 2045 waren ursprünglich Pläne in Kraft gesetzt worden, die vorsahen, dass etwa 40.000 Menschen im Rheinland ihre Heimat aufgrund der Braunkohlengewinnung verlieren sollten. Dies bedeutete, dass über 100 Ortschaften dem Erdboden gleichgemacht werden sollten. Die Begründung hinter diesen Plänen war die Ressourcenausbeutung und die Energiegewinnung aus Braunkohle. Allerdings kam es in den letzten Jahren zu Veränderungen, vor allem mit Blick auf den Kohleausstieg. Die Siedlung Holzweiler und fünf weitere Dörfer sowie einige Höfe sollen dem Tagebau Garzweiler II nicht mehr weichen müssen. Dies bedeutet, dass diese Gemeinschaften und ihre historischen Wurzeln erhalten bleiben können. Auch Merzenich-Morschenich, obwohl die Umsiedlung bereits weitgehend abgeschlossen ist, wird nicht mehr vom Tagebau Hambach betroffen sein. Hierbei handelt es sich um eine wichtige Entwicklung, da es zeigt, dass die Stimmen der Betroffenen und Umweltschützer gehört wurden. In Kerpen-Manheim wohnen immer noch Menschen, obwohl dort keine Braunkohle mehr gefördert werden wird. Dies ist ein Beispiel dafür, wie die sozialen Strukturen in den betroffenen Gemeinschaften oft nicht vollständig erhalten werden können. Viele Bewohnerinnen und Bewohner haben sich entschieden, umzuziehen, um den Folgen der Braunkohlengewinnung zu entkommen. Dies verdeutlicht die tiefgreifenden Auswirkungen, die der Bergbau auf die Lebensweise der Menschen hat. Die Diskussion über die Zerstörung von Dörfern für die Braunkohlengewinnung wirft wichtige Fragen auf. Zum einen geht es um die Abwägung zwischen wirtschaftlichem Fortschritt und dem Schutz der Umwelt sowie der Bewahrung kulturellen Erbes. Zum anderen stellt sich die Frage nach der Zukunft der betroffenen Gemeinschaften. Ist es möglich, eine gemeinsame Umsiedlung zu realisieren, die die sozialen Strukturen intakt hält? Oder werden die Menschen gezwungen sein, ihre Heimat aufzugeben und anderswo ein neues Leben aufzubauen? Es ist ermutigend zu sehen, dass der Kohleausstieg Veränderungen mit sich bringt und einige Dörfer vor der Zerstörung bewahrt werden. Dies zeigt, dass der Schutz der Umwelt und die Erhaltung historischer Gemeinschaften Priorität haben können. Dennoch bleibt die Frage nach einer nachhaltigen Lösung, für die von der Braunkohlengewinnung betroffenen Regionen bestehen. Es ist wichtig, dass diese Diskussion weitergeführt wird, um Wege zu finden, die die Interessen der Menschen und die Umwelt in Einklang bringen.



Karte: Sammlung Hausmuseum Erstellt nach Angaben des Ministeriums für Klimaschutz, Umwelt Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen

 
Besenrein

Zurück zum Tagebau ....

Die Menschen in den Umsiedlungsgebieten sind wegen der Übermacht des Tagebaubetreibers in Abhängigkeit. Gehorsam und finanzielle Versprechungen machen es u.a. immer noch möglich, dass so viele Menschen sich wenigen profitmachenden Konzernen unterordnen. Wer profitiert hier vom Wachstum?

Was würde passieren, wenn alle Umsiedler NEIN sagen würden und sich weigern würden ihr Zuhause zu verlassen? Das muss man ja wenigstens mal aussprechen dürfen! Alle könnten ja auch nicht enteignet werden. Der ganze große und zahlreich organisierte Widerstand wurde und wird von dem Konzern mit den verschiedensten Methoden unterwandert, indem sie z. B. die einzelnen Bewohner isolieren und untereinander entfremden. Alte und kranke Menschen können sich sowieso nicht mehr wehren. „Besenrein“ soll das Zuhause vor der Umsiedlung dem Tagebaubetreiber übergeben werden, was kurz darauf der Bagger in Schutt und Asche legt.

Welcher große Besen soll das denn wegkehren, seltsame Logik.
v Die meisten waren und sind brav. Sie tun es: besenrein. Eine wirkliche Enteignung können sich die wenigsten aus nervlichen und finanziellen Gründen leisten. Es kommt selten vor, doch hängt die Enteignung wie ein Schwert über vielen Umsiedlern.

„Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig.“ (GG Art 14, Abs.3)

„Aber im Braunkohlerevier sind Dimensionen erreicht, die einfach nicht mehr gestatten, von notwendigen Opfern weniger für die Allgemeinheit zu sprechen. Keine Einzelnen werden zum Verkauf ihres Grund und Bodens gezwungen, nicht alle Jahre einmal ist ein Weiler, ein kleines Dorf abzureißen, nicht ein paar Quadratkilometer sind trocken gepumpt und abgebaggert - Zehntausende sind zur Umsiedlung genötigt, ganze Gemeinden verpflanzt, Wasser für Jahrhunderte ist verschwendet, ein ganzer Landstrich gerät unter den Bagger. Hier wird längst ein Gemeinwohl mit dem anderen vernichtet, wobei das eine unwiederbringlich verloren geht (z.B. Naturschutz, Denkmalschutz, Heimatschutz), während das andere, der Strom aus der Steckdose, auch anders, sprich ökologischer zu haben wäre.“ 1

1 Verheizte Heimat. Der Braunkohlentagebau und seine Folgen Albert Kirschgens, Barbara Wolf, Frank Heimbrock, Bernhard Lins (Hambachgruppe), S. 175
 
Heimat und Identität


Bilder und Gemälde ehemaliger Bewohner

Die Geschichte von Otzenrath ist eng mit dem Tagebau verbunden, dessen Auswirkungen die Bewohner des Ortes zwangen, umzusiedeln und so ihre Häuser dem Verfall preiszugeben.

Bilder und Gemälde, die ehemalige Bewohner von Otzenrath an ihren Wänden hängen ließen, sind Teil der Sammlung des Hausmuseums geworden. Die Motive reichen von idyllischen Landschaften über Kruzifixe bis hin zu Porträts der Vorfahren.

Landschaften, Öl auf Lwd, 50 x 60 cm Maler/In unbekannt

Drei Landschaften, Gouache auf Karton je 30 x 20 cm, Maler/In unbekannt