ein museum ist ein museum. es sei denn, das haus ist ein museum und das museum ein haus. dann ist es ein hausmuseum oder ein museumshaus. wenn in dem haus menschen wohnen und wohnten, scheint es mehr haus, doch wenn menschen wohnen, sammeln sich dinge an und so wird das haus zum museum. was sind das nur alles für dinge? geschichten, bilder, vergangenes, erzähltes, erinnertes, behaltenes, gewusstes, vergessenes, verflossenes, unverdrossenes, wesendes, seiendes, weiter seiendes, weiter fließendes, immer neu und immer alt und immer gegenwärtig dann, wenn man ihm gegenwart zugesteht, ihm einen ort schafft, ein haus, ein museum, ein hausmuseum. ein haus, das die zeit birgt, ein haus, das die zeit hegt, ein haus, das gegenwart und zukunft ihre gründe spiegelt, ein haus, das zum spielraum, zum denkraum wird und ein lebensraum ist. was könnte zukunft sein, wenn sie die gegenwart nicht begreift und die vergangenheit nicht kennt. vergangenheit, gegenwart und zukunft – sie alle sind sprache, sie alle sind bild, sie alle sind in den gedanken und in den dingen, denn dinge sind gedanken und gedanken sind dinge. nur so geht es weiter voran, nur so geht es weiter zurück, nur so geht es. und leute, die denken, die sich ein bild machen, die das gedachte aufschreiben, das ersonnene erzählen, die mit dem körper etwas zeigen oder mit dem, was sie tun, die zeigen, dass alles auch ganz anders sein könnte, dass alles vielleicht ganz anders ist, dass alles vielleicht ganz anders sein sollte, dass alles vielleicht ganz anders wird, solche leute, die etwas aufzeigen wollen, das vermutlich größer ist als sie selbst, solche leute brauchen einen raum, brauchen ein haus, ein museum. darin können all diese ideen sein und gedeihen, ein panorama des möglichen, des fantastischen, des realistischen, des fiktiven, des imaginären, des illusionären, simulakren, schein und materialität, alles paart sich in einer mystischen vereinigung. und wer weiß schon, was daraus wird? wer weiß schon, welcher impuls welche ursache zeitigt? welch kleine oder welche große wirkung aus einer großen oder kleinen ursache folgt? warum machen wir das denn alles, wenn wir nicht denken, dass es etwas bewirkt? wozu leben, wozu arbeiten, wozu schaffen und kreieren, wenn nichts daraus folgt? doch es folgt etwas, es folgt immer etwas, und deshalb geht es immer weiter, deshalb stirbt die hoffnung nie und nicht die utopie. sie sterben nicht wegen derer, die hoffen, und derer, die noch utopien entwerfen. hoffnungen und utopien sind nicht alles, aber ohne sie wäre alles nichts. ohne sie wäre der raum ein leerer raum, lautlos wie das weltall. damit der raum kein leerer raum ist, bedarf es einer begrenzung. es bedarf eines hauses, eines besonderen hauses, eines hauses, das ein raum ist für geschichte und geschichten, für erzählen und erzähltes, für das vergessene und das erinnerte, ein haus für utopien und hoffnungen, so ein haus ist ein haus, das ein museum ist (aber auch ein lebensraum), so ein museum ist ein haus, das ein haus ist (aber auch ein gedankenort). dann und nur dann, wenn es das alles ist, ist ein haus ein museumshaus und ein museum ein hausmuseum.
enno stahl, 13.9.2023
Eat-Art und Sepulkralkunst Dr. Karla Bilang
Zu den Aktionen und Objekten von Inge Broska
Zu den Aktionen und Objekten von Inge Broska
Inge Broska hat zwischen Fluxus, Ökologie und Frauenbewegung einige Schnittstellen entdeckt, die ihrer Kunst ein spezifisches einmaliges Gesicht geben, das sich schlecht in die gängigen Gruppenfotos der postmodernen Bewegungen einordnen lässt und doch den politischen wie den kulturellen Nerv der 1980er und 1990er Jahre auf das empfindlichste zu treffen weiß. Ein Blick auf die Biografie zeigt, dass die Künstlerin bei Janošek, Spoerri und Sovak in Köln und anschließend an der Kölner Universität Kunst und Haushaltslehre studierte. Schon diese Doppelung lässt ahnen, dass Inge Broska nicht gewillt ist, Kunst und Leben zu trennen, dass sie die fließenden Übergänge sucht, in denen sie den traditionellen Frauenbereich und die ästhetische Wahrnehmung verknüpfen kann und dabei den kritischen Ansatz auf eine frappierende, mit schwarzem Humor gewürzte Weise vermittelt. Ihre Arbeitsbereiche sind Eat-Art. Buffetforschung„ Sepulkralkunst, das Tier im Kochbuch. Sie gründete 1995 das Hausmuseum Otzenrath als Projekt gegen den Tagebau Garzweiler. Die Titel ihrer Aktionen und Werke lassen bereits die wirkungsvolle Aushebelung des üblichen Ess- und Sozialverhaltens des bürgerlichen Lebens erahnen: „Hemdenkuchen“, „Tortenbureau“, „Grasbuffet“, „Was die Musen sägen“, „Familiengruft“, „Heldinnenfriedhof“, „Tod durch Schokolade“, „Der Weißzucker, mein größter Feind“, „Partyservice“, „Broiler“, „Schinkenheilung“, „Die unbekannten Pfoten“.
Ironie und Satire beherrscht die Künstlerin perfekt und schafft auf eine sanfte oder bissige Weise Betroffenheit. Ihre Liebe gehört dem Tier, ihr Abscheu der mordenden modernen Konsumgesellschaft und deren ungehemmter Fresslust.
Inge Broska, Scherbenmuseum, Detail
Die Provokationen zielen in den Bereich der Alltagskultur, der durch gedankenloses Übernehmen von Traditionen wie den enormen Fleischverzehr oder durch den kultischen Glauben an die heilende Kraft von neuen Ernährungsrichtlinien bestimmt wird. Zugleich wird die Rolle der Frau in den Mittelpunkt gerückt. Seit alters her ist die Frau die Zubereiterin der Nahrung, ihr unterstanden Haus, Küche und Garten. Diese Tradition hat ihr eigentlich viel Wissen und Macht verliehen: Die Transformationsprozesse von Naturerzeugnissen zu nahrhaften und schmackhaften Speisen waren mit Kenntnissen über die Bedeutung der Nahrungsmittel und über spezielle Rezepturen, auch im Bereich der Heilkunst und der Magie, verbunden. Dem nährenden positiven Aspekt steht der negative nicht fern; an demselben Herd, der die Suppe kochen lässt, kann auch das Gift gebraut werden. Die sanfte Hausfrau wird zur potenziellen Täterin. Die Prozessakten über Giftmörderinnen waren in den vergangenen Jahrhunderten ziemlich umfangreich. Heute ist das nicht mehr notwendig, da die Nahrungsmittelindustrie und die Umweltverschmutzung den Hausfrauen das schwere Los endlich abgenommen hat. In den meisten Nahrungsmitteln sind ausreichend Rückstände von Dünger und Medikamenten enthalten und zudem sind die Essgewohnheiten so manipuliert, dass auf Dauer eine schädigende Wirkung auf den menschlichen Organismus auch ohne mutwillige Weitung garantiert werden kann. Insofern ist die Frau, die das Essen zubereitet und den Kuchen backt, nicht die eigentliche Täterin, sondern eher eine Art Vollzugsbeamtin, die ohne Lohn und ehrenamtlich tätig ist. Die Künstlerin macht die angestammten Rollenmuster der Frau durch ihre Aktionen zum Gegenstand der Kunst, bröselt die Zusammenhänge auf, betreibt Studien, arbeitet mit historischem Wissen und verwendet immer wieder archaische Funktionszusammenhänge, um die Situation in der Gegenwart zu beleuchten und um zu brüskieren, zum Nachdenken anzuregen. So werden der Kunst unausgesetzt neue Wirkungsfelder erschlossen, ähnlich wie sich die übliche Biografie einer „normalen“ Frau durch Herkunftsfamilie, Eheschließung, regionale Lebenskultur usw. „entfaltet“. Die traditionellen Bereiche der Frau wie Zubereitung des Essens, Kochen, Backen, Tischdecken, Abräumen, Abwaschen, das gemütliche Heim. Pflege der Kleidung usw. bilden für die Künstlerin einzelne Kunstbereiche, denen sie differenziert und verbunden mit der Erforschung der feministischen Alltagsgeschichte sowie der abendländischen „Kulturtradition“ der Religion usw. nachgeht. Dabei ist das Erkennen und Herausfiltern von zentralen Themen die Voraussetzung für die Wirkung der entstehenden Arbeit. Das Konzept also ist entscheidend, und hinter dem Konzept steht die feministische und die ökologische Theorie. Das Folgende ist dann die Verknüpfung der Fakten oder die Anspielung auf Tradition und deren aktionistische Verpackung. Das Ergebnis, welches der Betrachter in der Aktion oder im Objekt wahrnimmt, ist das Produkt vieler Recherchen, gepaart mit einem Gespür für die Zeitsituation und einem provokanten Kick.
Inge Broska, Fragmente und Abdrücke der 2006 zerstörten Gründerzeit-Villa Leuffen (Schlösschen) in Alt-Otzenrath
Beispielsweise ist der Bereich der Eat-Art (Daniel Spoerri) keineswegs so neu, wie es unserem Ohr beim ersten Hören erscheint. Wir kennen gerade in der holländischen Malerei die Stillleben mit Früchten und erlegten Fasanen, es gibt Leonardos Abendmahl als Schlüsselbild der Renaissancemalerei und die Gänserupferinnen von Max Liebermann, plebejische Kneipenszenen, fürstliche Essgelage und Tafelrunden, Jagdbilder und Van Goghs Kartoffelesser. Sattheit, Gier und Hunger sind häufiger Themen der Malerei, als wir meinen, da wir mit diesem Genre zumeist die Landschaft, Porträt oder bestimmte Themen aus der Geschichte oder der Mythologie verbinden.
Inge Broska greift auf diesen Fundus zurück und sie ist nicht zimperlich mit der Wahl des Titels „Jüngstes Gericht“: „In hoch rechteckigem Format vereinen sich zahlreiche Gegenstände aus dem Nahrungsalltag oder der Architektur zu einer Art Hamburger-Turm – einer Ikone gerade jenes Nahrungsmittels, das das schnellste und unbewussteste Essen mit sich bringt. Der Titel Jüngstes Gericht reizt bewusst den Kontrast aus zwischen Religion, Essmoden und dem Frischekult, der Denk- und Konsumgewohnheiten unserer Tage prägt“ (1)
Ein Wortspiel, eine Sinnverdrehung wird hier bewusst eingesetzt: Das ganz bewusst kalkulierte Missverständnis des Begriffes „Jüngstes Gericht“ setzt die Anwendungsmöglichkeiten und neuen Auslegungen frei. Das Spiel mit den zwei Bedeutungen profanisiert und holt den Begriff des „Jüngsten Gerichtes“ von seinem Podest der religiösen Unnahbarkeit und der schicksalhaften Unausweichlichkeit herunter und stellt ihn in die Banalität des Alltags; von der Kirche in die Küche, bzw. in die Fastfood-Kantine aus dem hohen Gericht, was den Einzelnen nach Ablauf seines Lebens ereilt, um über seinen Lebenswandel zu richten, wird in zweiten Sinne des Wortes eine Mahlzeit, ein täglich sich wiederholender Vorgang im Leben eines jeden Menschen – und da es sich um ein „Jüngstes Gericht“ handelt, wird eine junge, neue Mode aus dem Bereich der Mahlzeiten, des Essens, der Gerichte ausgewählt, eben die großen Imbissketten mit ihren sich türmenden Hamburgern, Cheeseburgern, Doppelwhoppern usw.
Die Verknüpfung scheinbarer Gegensätze wie Tod und Nahrung im „Jüngsten Gericht“ ist eine Grundstruktur der Arbeiten von Inge Broska und je weiter die Doppelbedeutungen oder Anspielungen auseinander liegen in ihrer herkömmlichen Wertigkeit oder Zuordnung, desto stärker ist die Wirkung der Installation auf die Zuschauer. Der Schock setzt erstmal die Denkgewohnheiten außer Kraft, rüttelt die bisherige Wahrnehmung des Lebens ein wenig durcheinander und ermöglicht das Sehen neuer, im Grunde alter und vergessener Zusammenhänge im Lebenskreislauf. Die Künstlerin fokussiert diese elementare Verknüpfung von Leben und Tod, beides ursprünglich Kreativbereiche der Frau, die später durch Religion, Medizin und Verwaltung ersetzt worden sind: „Meine Arbeit bewegt sich stets im symbolischen Kontext zwischen Essen, Vergänglichkeit, Friedhof und Totenkult - eine sepulkrale Eat-Art. Alles, was wir essen, bringt uns dem Tod ein Stück näher.“ (2)
Spiegel, Erbstück der Familie
Dazu gehören vor allem die süßen Sachen, die in den Installationen „Tod durch Schokolade“ und „Der Weißzucker – Mein größter Feind“ in ihrer elementaren Substanz angesprochen werden und in weiteren Installationen und Performances, wie „Silbersolo – den unbekannten Torten“ und „Familiengruft – Streuselkabinett“, in transformierter Gestalt und in ihren sozialen Funktionen illustriert werden. Die Arbeitsweise von der Grundidee über das Sammeln von Informationen bis zum Gestalten eines Zusammenhanges ist in den Werken selber ablesbar, da das jeweilige Stadium der Stoffsammlung oder der Erkenntnis der Zusammenhänge bereits künstlerisch reflektiert wird, und gibt den zusammengehörenden Werkgruppen eine bestimmte progressive Struktur. Eine solche Verfahrensweise ist von vornherein durch eine große Offenheit des künstlerischen Prozesses bestimmt, die ungehindert Einblicke zu verschiedenen Stadien der Auseinandersetzung gewährt. Andererseits ist diese Offenheit nur scheinbar. Sie ist ein Trick, um den Betrachtern auf die Sprünge zu helfen und die einzige Möglichkeit, die manchmal sehr vertrackten und der offiziellen Funktionsweise von Politik und Gesellschaft zuwiderlaufenden Gedankenverbindungen, die die Künstlerin zu ihren Werken anregen, plastisch zu machen und sichtbar werden zu lassen. Immer noch gilt der Satz, dass nichts so frappierend und entlarvend sein kann, wie der wörtlich genommene Ausspruch oder der schonungslose Blick auf die wirklichen Verhältnisse. Die Übertreibung, Verlogenheit und Bösartigkeit innerhalb der politischen Mechanismen und der sogenannten alltäglichen Abläufe kann in ihrer Absurdität und Widersinnigkeit von keiner Kunst überboten werden, aber die scharfsichtige Künstlerin kann sich dieser Eskapaden und Grotesken bedienen, indem sie diese scheinbar harmlosen Konstellationen des Unmöglichen ins Licht der Betrachtung rückt und ihnen den Spiegel vorhält. Dabei ist das Vorgehen je nach Thema ambivalent und verfügt über eine differenzierte Skala des Ironischen, so wird der Grundton bei der Zurschaustellung der Tierverwertung oft sarkastisch gegenüber den menschlichen Speisegewohnheiten und Konsumverhalten, während der Komplex um das Backen und den Backofen mit sanfteren Tönen begleitet ist und eher eine Lebensphilosophie aus weiblicher Sicht darstellt und vergessenes Wissen neu belebt.
Der Grundidee wird von der Künstlerin mit „sepulkraler Eat-Art – Verbindung zwischen Grab- und Esslust“ bezeichnet und sie verwendet mitunter auch den Begriff der Grabbeilagen für diese Installationen. Seit den ausgehenden achtziger Jahren entstanden die „Essmausoläen I-IV“ als z. T. begehbare Grabmale und „kalte“ Buffets bei Ausstellungseröffnungen, der „Heldinnenfriedhof“ bestehend aus Grabsteinen mit Kochrezepten und das „Familiengruft - Streuselkabinett“ mit 32 Plattenstreusel als Grabsteine.
„Der Friedhof als Skulpturengarten“, Grabplatte, Gipsabdruck, ca. 140 x 70cm, 1998, Kunst mit obdachlosen Männern im Vinzidorf in Graz, Workshop (Stipendium)
,in Kooperation mit Kunst!: abseits vom netz und im Atelierhof Werenzhain Stipendium, Hans-Jörg Tauchert und Inge Broska
Vor einem solchen Hintergrund war das über einhundert Jahre alte Backhaus von Werenzhain mit seinem riesigen Reisigofen ein geradezu idealer Ort innerhalb des Vierseithofes. Es gilt als das größte in der Region und ist im originalen Zustand erhalten, früher wurden auf dem ehemaligen Lehmschankgut, mit großen Küchen, Schankräumen und Saal, Brot und Kuchen in erheblichen Mengen gebacken und für die Frauen war diese Seite des Hoflebens die interessanteste. Während die Männer in der Wirtsstube saßen, trafen sich die Frauen in der Backstube, um die Brote für die ganze Woche und den Kuchen für den Festtag abbacken zu lassen - es war ein Ort der Tätigkeit und der Kommunikation. Unmittelbar an das Backhaus grenzt der Friedhof mit der mittelalterlichen Zisterzienserkirche, die einst ebenso wie das Lehnschankgut zum nahegelegenen Kloster Dobrilug gehörte. Die direkte Nachbarschaft von Backhaus und Friedhof entspricht in idealer Weise dem Konzept der Künstlerin, den kulturgeschichtlichen Zusammenhang zwischen Backofen und Grab zu betonen und damit auf die alten Traditionen aus der Zeit der Sesshaftwerdung der Menschheit zu verweisen. Fasziniert von der Schönheit des ländlichen Backofens verzichtete Inge Broska endlich auf eine künstlerische Bearbeitung, die nur schwer rückgängig zu machen wäre und die funktionale Gestalt der traditionellen Architektur beeinträchtigen würde, und entschied sich für eine serielle Bodeninstallation und Performances mit dem Titel „Backofen-Gesänge“. Die Bodeninstallation bestand aus „Vanillehörnchen“, einer rheinischen Spezialität, die aus Gips in originale kleine Metallförmchen gegossen wurden. Die getrockneten Gipshörnchen erhielten eine bräunliche Patina aus Ton und sahen dem echten Gebäck täuschend ähnlich (einige Stücke wurden von der Künstlerin signiert und als Multiples-Souvenirs an die Ausstellungsbesucher verkauft - zur Unterstützung für den Erhalt des alten Backhauses. Oben im Gebälk des Backhauses saß neben dem frei stehenden hohen Schornstein ein gerußter Engel aus Pappmaschee, Symbol für die römische Ofengöttin Fornax. Zur Performance sind die beiden Protagonistinnen - Inge Broska und Marlies Kamps - in den Backofen hineingekrochen und haben in der Art des Orakels aus dem Ofen ihre Botschaft in Sprech- und Singform gesendet, die aus folgenden Teilen bestand „Austausch“, „Von der Ästhetisierung der Lebenspraxis“, „I did a Piece“ - „Ja ja - Nein nein“ als rhetorische Beiträge und „Der Backofen versteht Dich“ als Gesang für Eva nach Beethoven, Goethe. Andersen. Auf diese Weise wurde der Ofen zu einer lebendigen Wesenheit mit eigener Stimme, zu einem Raum des Orakels und zur Quelle für neue Nachrichten und Botschaften, z.B. über die Ästhetisierung der Lebenspraxis. Der historische Ort wurde im Wortsinne neu belebt, statt Brot und Kuchen als leibliche Nahrung kamen Sprüche und Gesänge als geistige Nahrung. Auch hier ist wieder die Ambivalenz zu den Grabriten mit Predigt und Gesängen vorhanden. -
So sehr auf der einen Seite historische und kulturelle Forschungen über die Zusammenhänge von Ofen und Grab den soziokulturellen Arbeitskomplex bestimmt haben, so wichtig waren auf der anderen Seite persönliche Erlebnisse und Erinnerungen aus der Kindheit, denn sie sind der eigentliche Garant ihr die Einbettung der Konstrukte in den Strom der Lebenserfahrung und damit Voraussetzung für das Funktionieren der Aktion, da sie das Wiedererkennen des Essenziellen durch die Betrachter überhaupt erst möglich macht: „Die Ursprünge zur Wahl dieses ‚Lebensthemas‘ gehen bis in die Kindheit zurück. Der Friedhof wurde auch als Ort erlebt, wo alte Leute nach dem Spaziergang mit den Enkeln auf der Bank saßen und gelegentlich ein Butterbrot verzehrten ...“ (3) Noch deutlicher ist der Erinnerungsbezug zwischen dem Verzehr von Kuchen und dem Ritual der Beerdigung in dem Text zur Installation „Streuselkabinett‘ mit dem bezeichnenden Untertitel „Familiengruft“ Die Installation besteht aus 21 Gipsabdrücken von Streuselkuchen, die mit Ton patiniert sind. „Der Streuselkuchen ist der rheinische Plattenkuchen, der bei allen Gelegenheiten, besonders zu Beerdigungen, gebacken wird. An ihm wurden die Fähigkeiten einer Hausfrau gemessen (...) Erinnerungen an meine Kindheit, an viele Familienfeste mit Streuselkuchen, ohne kunstvolle Torten, ohne Buttercreme, an Spaziergänge mit meiner Großmutter auf dem Friedhof und eine Art Heimweh nach der Zeit damals haben mich veranlasst, die Installation sowohl Streuselkabinett als auch Familiengruft zu nennen.“ (4) Auffallend sind die positiven Erinnerungen an den Friedhof, der nicht als Ort des Alleinseins und des Trauerns, sondern als Ort der Erinnerung, der ungestörten Ruhe in der Natur und des Eingebundenseins in natürliche und familiäre Zusammenhänge erfahren wird. Spaziergänge mit der Großmutter auf dem Friedhof. Verbunden mit Erzählungen von „früher“, geben eine mündliche Tradition weiter in der weiblichen Linie und vermitteln das Gefühl einer besonderen Geborgenheit. Es ist nicht die Todessehnsucht überspannter Romantiker, die im Zeitalter der Empfindsamkeit bereits als Lebende die Erfahrung des Todesschlafes in ihrem eigenen Sarg gemacht haben, die Inge Broskas Liebe zu Friedhöfen bestimmt. Sondern es ist im Gegenteil eher die Anerkennung des Lebens in seinem Kreislauf von Werden und Vergehen, von Geburt und Tod. Eine an die spezifische soziale und biologische Rolle der Frauen über Jahrtausenden gebundene Erfahrung hat die Künstlerin verarbeitet und darin ihr eigentliches ‚Lebensthema‘ erkannt, das die Aspekte des profanen Lebensprozesses mit denen des Sepulkralen verknüpft.
„Ästhetisierung der Lebenspraxis“, Inge Broska auf den Trümmern ihres Hauses, allerdings kein Vergleich mit Krieg
Ebenso wie sich im Lebensprozess durch Alter und Krankheit der Todesaspekt äußert, ist auch im Sepulkralen in seinem engeren Sinne das ehemals Lebendige als Reliquie enthalten. Sepulcrum - lateinisch Grab - bezeichnet ursprünglich das Reliquiengrab des Altares in der Kirche. Die Reliquien werden zusammen mit drei Weihrauchkörnern in einem Behältnis bei der Altarweihe in die quadratische Öffnung oder Höhlung (etwa 15 x 10 cm) eingelassen, die durch eine kleine Steinplatte (sigillum) verschlossen wird. Die Bezeichnung ‚martyrium‘ sepulcrum deutet auf den Ursprung im frühchristlichen Märtyrerkult und dem daraus abgeleiteten Brauch hin, Reliquien in oder unter dem Altar seit dem 16. Jahrhundert beizusetzen. Bei den Reliquien besonders verehrter Heiliger war das unter dem Altar oder im Sockel angelegte Sepulcrum mittels einer Öffnung oder eines Fensterchens (fenestella) mit einer Vorkammer verbunden, sodass die Reliquien betrachtet und berührt werden konnten.“ (5) Im Katholizismus bezeichnet der Begriff Sepulcrum das Heilige Grab, eine Nachbildung der Grabeskirche Jesu Christi in Jerusalem, die als Aufbewahrungsort für Reliquien aus dem heiligen Land galt oder als Friedhofs- und Grabkapelle errichtet wurde. Unter dem Einfluss der liturgischen Osterfeierlichkeiten wurden die Anlagen seit dem 10. Jahrhundert aufwändiger und mit einem entsprechenden Skulpturenprogramm ausgestattet. Von der Baulichkeit verlegte sich der Schwerpunkt auf die Gestaltung des Sarkophags mit manchmal herausnehmbarer Darstellung des Leichnams Christi, schlafenden Wächtern sowie Marien und Engeln unter einem Baldachin. In der Barockzeit entstanden ausgestaltete Schaugerüste, die als „die aura sacrum“ die Kreuzabnahme, Grablegung, Beweinung und Auferstehung (Drei Frauen am Grab) bildlich veranschaulichten. (6)
Die Sepulkralkunst hat als Grabkunst oder Grabmal eine lange Tradition in der Geschichte der Menschheit; sie ist meist mit religiösen Vorstellungen verbunden, aber gleichzeitig die wohl wichtigste und ihr einen gewissen Zeitraum sichtbare Schnittstelle zwischen dem privat- familiären Lebensbereich des Einzelmenschen und dem öffentlichen Kulturbereich. Inge Broska greift mit ihrer neuen Auslegung der Sepulkralkunst einen wichtigen, im materialistischen, auf das Diesseitige gerichtete Denken der Gegenwart größtenteils verdrängten Topos auf, den sie nach eigenen Worten „soziokulturell“ wertet und darstellt. Mit dieser Herangehensweise greift sie von der Struktur her auf die alten Bindungen zwischen Lebensgestaltung und kultureller Programmatik zurück und bringt vergessene Normen der kulturellen Kommunikation ins Bewusstsein. In diesem Sinne versteht auch Anne Dräger die sepulkralen Objekte der Künstlerin, „die den Verlust und die folgenreiche Tabuisierung des Totenkultes in unserer Gesellschaft zu überwinden suchen.“ (7)
Einsätze für Einkochkessel im Keller des Hausmuseums, siehe Seite 30/31, Katalog Hausmuseum
Die alten Friedhöfe mit ihren verwitterten Grabsteinen, mit den von Efeu und anderen Pflanzen überwucherten Gräbern sind ein Sinnbild für die Naturwerdung von Kultur, für die Rückverwandlung von Kultur in Natur. Ein Aspekt, der bei vielen Landart-Objekten ästhetisch bewusst in Rechnung gestellt wird, ist hier in aller Stille, in gleichzeitiger Abgeschiedenheit und Vertrautheit, seit Hunderten von Jahren ein ungeschriebenes Gesetz. Für Inge Broska war ein alter Friedhof in Köln eine Inspirationsquelle für die subtile Wirkung von Materialien wilder Wachstumsprozesse und für die Möglichkeit. Geplantes und Unvorhersehbares zu einem ästhetischen Ganzen zusammenzufügen.
Die Werkgruppe „Heldinnenfriedhof‘ - eine Installation von 1988,
gefördert durch ein Stipendium der Stadt Bonn, arbeitet mit Gipsabgüssen von alten Grabsteinen und trägt als Inschriften spezielle handgeschriebene Koch- und Backrezepte als Belege der vergänglichen kulinarischen Kunst unserer Mütter und Großmütter. Die Rezepte hat die Künstlerin im Bonner Archiv für Landeskunde ausgegraben: Fast alle ihre Arbeiten haben diesen wissenschaftlichen Recherchehintergrund, der gleichzeitig Authentizität vermittelt und Seriosität, denn wer wird schon das in wissenschaftlichen Institutionen verwaltete Material in Zweifel ziehen, selbst wenn es in obskuren Zusammenhängen wie nach „Kissen“-Grabplatten zu sehen ist.
Die Installationen selbst spielen natürlich auch mit dem musealen Faktor und sie sind im Grunde ein virtuelles Museum der weiblichen Kulturgeschichte zur traditionellen Rolle der Frau als Hausfrau, ein Museum, das Historisches vermittelt, um aktuelle Denkgewohnheiten und Lebensformen zu hinterfragen und einiges davon zur Disposition zu stellen. Als Struktur des Musealen ist die Kompilation der Objekte und Installationen zu erkennen; wie in einem etwas verstaubten oder provinziellen Museum stehen originale Fundstücke neben Nachbildungen aus Gips und stets ist ein kurzer erklärender Text zum rechten Verständnis der ausgestellten Objekte beigefügt. Inge Broska hat auch ein ausgeprägtes museumspädagogisches Talent und gibt zu ihren Arbeiten ausführliche kulturgeschichtliche und politische Kommentare, sicher mit dem Ziel der Erkenntnisvermittlung, aber auch zum Zwecke der Kommunikation. Mit ein Grund für ihre Konzentration auf die Festart ist die Tatsache, dass sich die Leute beim gemeinsamen Essen näher und vor allem ins Gespräch kommen. So wird ganz unter der Hand soziales Verhalten und die Diskussion gesellschaftlicher Missstände trainiert.
Der „Heldinnenfriedhof“, der nach vielen Stationen der Präsentation mit einigen ausgewählten Grabsteinen in das Backhaus des Atelierhofes gekommen ist und dort sowohl in der Nähe zum Backofen als auch zum unmittelbar angrenzenden Dorffriedhof einen überaus passenden Platz gefunden hat, ist einerseits eine Persiflage auf die martialische und verlogene Heldenverehrung der Kriegsopfer und nimmt den Begriff andererseits auch für die ungenannt gebliebenen Frauen in Anspruch. Ein Beispiel, den kritischen Um-Erfindungsgeist und das diffizile Verknüpfen von Ironie und Direktheit: Katharina Schmidt hat in Ihrer Laudatio zum Stipendium der Stadt Bonn (siehe Seite163) den Ernst der Lage erkannt. Den Begriff Heldinnenfriedhof gibt es in der deutschen Sprache nicht. Das Kochrezept, das auf einem der jeglicher Individualisierung entblößten Steine auftaucht, liefert den deutlichen Hinweis auf alle in der Anonymität ihrer häuslichen und familiären Aufgaben still verbliebenen Frauen. Dieses Rezept – von der Künstlerin auch als Grabbeigabe verstanden, wird von ihr nicht nur im nachdenklichen Protest eingesetzt, sondern liest sich auch als Metapher für die Erhaltung und Fortsetzung des Lebens. (8)
Sammlung Hausmuseum, Gipsabdrücke von Original-Handys, Arbeiten mit Kindern
Für Inge Broska ist ihre Kunst – das wurde bereits an vielen Beispielen deutlich – eine Möglichkeit zur sozialen und politischen Kommunikation. Sie greift kritische Themen aus der Wirklichkeit auf, bearbeitet sie und stellt sie in der Umformung als Installation, Objekt, Performance wieder in die Wirklichkeit hinein. Vor allem die Performance ermöglicht durch das eigene Agieren und Reagieren bzw. Mitmachen des Publikums jenen Wechsel von Aktion und Reaktion, der weiterführenden Dialog und Aktivierung zur Folge hat. Neben den Umweltproblemen, der Massentierhaltung, den Essgewohnheiten, der sozialen Rolle der Frau sind es ganz allgemein die vom Turbokapitalismus überrollten traditionellen Lebensformen und Handwerke das ins gesellschaftliche Aus gestellte Alte und auf einfache Weise Bewährte, was das Interesse der Künstlerin weckt. Da der Atelierhof in Brandenburg und damit in den neuen Bundesländern liegt, gibt es hier genug entsprechende Objekte, Betriebe und Einrichtungen, die als veraltet geschlossen und ad acta gelegt wurden. Inge Broska hat sich aufgemacht, um im sozialen Umfeld das aktuelle Pendent zu ihren Backofen-Obsessionen zu suchen, und hat in der bekannten Bäckerei Tosch in Massen, den einzigen Familienbetrieb, der noch mit einem mit Holz gefeuerten Backofen arbeitet, einen Gesprächspartner gefunden und eine Fotodokumentation des traditionellen Familienbetriebes erstellt.
In den Erläuterungen zu der Fotocollage schildert sie die Problematik: „Aus Altersgründen, mehr noch aus ökonomischen Gründen schließen immer mehr kleine Bäckereien. Damit werden auch viele noch sehr gut funktionierende alte Backöfen stillgelegt und das wertvolle Wissen der älteren Bäckergeneration geht unwiederbringlich verloren. Die neue Bäckerinnengeneration schätzt bisher das vorhandene Potenzial - das Fachwissen und die handwerklichen Fähigkeiten sowie die funktionsfähigen Maschinen und Geräte des elterlichen Betriebs - zu wenig. Andererseits gibt es gerade im Bäckerberuf viele alternative Möglichkeiten. Bei meiner Beschäftigung mit dem Thema ‚Backofen‘ lernte ich ein Bäckerehepaar aus Massen kennen, welches aus Altersgründen sein Geschäft aufgeben muss. Dabei spürt man eine Trauer, dass die Backstube nach vielen Jahrzehnten nun bald für immer ‚kalt‘ bleiben soll. Die Bäckerei hat mehrere Generationen sehr gut ernähren können und würde es auch trotz industrieller Konkurrenz weiter können, denn die ‚Handarbeit‘ wird in der Region noch sehr geschätzt und der Kundinnen- und Kundenstamm ist nach wie vor mehr als ausreichend. Ende des Jahres 1999 wird in der Bäckerei der letzte Sauerteig angesetzt, von dem kein Teil mehr bis zu dem nächsten Tag übrigbleibt. Der kleine Laden dient nur noch als Verkaufsraum für eine andere größere Bäckerei.“ (9)
Gipsen statt Putzen, Schrubber, Putzlappen, Gips
Modell der Hofseite des Hausmuseum Otzenrath
früher Buttergasse (wegen dem einzigen Milchgeschäft im Ort) , ehemals Kölnerstraße
später Düsseldorfer Straße
das einzige Milchgeschäft im Ort war auf dieser Straßenseite
Abriss erfolgte 2006
Foto: Sammlung Hausmuseum